Schlechte Zeiten für Graphologie?

Von Heiner Müller stammt der Satz “WER MIT DEM MEISSEL SCHREIBT, HAT KEINE HANDSCHRIFT.“

Das klingt so schön lapidar und glaubhaft – auf den ersten Blick; aber beim Betrachten alter Grabplatten stößt man rasch auf die besonderen Merkmale unterschiedlicher Zeiten und Regionen. Es lassen sich sehr wohl auch die charakteristische Schreibstile einzelner Steinmetze entdecken. Für Graphologen jedoch wird solches Anschauungsmaterial wenig ergiebig sein: nicht spontan genug, zu steif und sorgfältig, zu unpersönlich.

Dem Einmeisseln einer Schrift entspricht ein wenig das Schreiben in Druckbuchstaben.  Es dient meist dazu, eine ausgeschriebene. wenig leserliche Handschrift durch formal kontrollierte Zeichen zu ersetzen, die der Leser dann möglichst zweifelsfrei erfassen kann. Auch dies bereitet dem Graphologen keine Freude. Immerhin: diejenigen unter meinen Freunden, die ausschließlich in Druckbuchstaben geschrieben haben, waren immer am Charakter ihrer Schrift leicht zu erkennen. Das lag an der Häufigkeit und Raschheit ihres Schreibens.

Und heute? Die Finger laufen über die Tastenfelder, der Text erscheint in den immer gleich präzisen unpersönlichen Zeichen – “…und schrieb und schwand…“ –  wenig Gelegenheit, eine persönliche Handschrift zu entwickeln.

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