Lesefrucht

Im Zusammenhang einer Betrachtung über das Gegensatzpaar Engel und Idiot ergibt sich bei Sloterdijk eine beeindruckende Gegenüberstellung von Textstellen aus Nietzsches Der Antichrist und Dostojewskijs Der Idiot. Hier  ein Ausschnitt:

“. . . Nicht als Bote kann der präsente Gottmensch die Sterblichen erreichen, sondern nur noch als Idiot. Der Idiot ist ein Engel ohne Botschaft – ein distanzloser intimer Ergänzer aller zufällig begegnenden Wesen. Auch sein Auftritt ist erscheinungshaft, aber nicht, weil er im Diesseits einen transzendenten Glanz vergegenwärtigte, sondern weil er inmitten einer Gesellschaft von Rollenspielern und Ego-Strategen eine unerwartbare Naivität und ein entwaffnendes Wohlwollen verkörpert. Wenn er redet, dann niemals mit Autorität, sondern immer nur mit der Kraft seiner Offenheit. Obwohl ein Fürst der Abstammung nach, ist er ein Mensch ohne Statuszeichen – er gehört hierin vorbehaltlos der modernen Welt an, denn wenn zum Engel die Hierarchie gehört, dann zum Idioten der egalitäre Zug. . . .“

Für den unvorbereiteten Leser mag die Passage nicht leicht verständlich sein; aber der Autor schafft es,  im vorausgehenden Text ein hinreichendes Vorverständnis aufzubauen.

Aus: Sloterdijl – Sphären I, p.481

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