Im Schatten des Jubels

. . .

Was ist der Mensch – die Nacht vielleicht geschlafen,
doch vom Rasieren wieder schon so müd,
noch eh ihn Post und Telefone trafen,
ist die Substanz schon leer und ausgeglüht,
ein höheres, ein allgemeines Wirken,
von dem man hört und manches Mal auch ahnt,
versagt sich vielen leiblichen Bezirken,
verfehlte Kräfte, tragisch angebahnt:

Man sage nicht, der Geist kann es erreichen,
er gibt nur manchmal kurzbelichtet Zeichen.

Nicht im entferntesten ist das zu deuten,
als ob der Schöpfer ohne Seele war,
er fragt nur nicht so einzeln nach den Leuten,
nach ihren Klagen, Krebsen, Haut und Haar,
er wob sie aus Verschiedenem zusammen,
das er auch noch für andere Sterne braucht,
er gab uns Mittel, selbst uns zu entflammen
– labil, stabil, labil – man träumt, man taucht:

Schon eine Pille nimmt dich auf den Arm
und macht das Trübe hell, das Kalte warm

. . .

(aus MELANCHOLIE von Gottfried Benn)

2 Gedanken zu „Im Schatten des Jubels

    • Ja Danke, liebe B.F. für die gemeinsame Freude an diesem Text.
      Er kommt erst richtig zur “Reife“, wenn er laut gelesen oder interpretierend vorgetragen wird.
      Mit guten Wünschen für 2016, Gruß, D.M.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.