Bagatelle 2012_5
Farbige Mischtechnik auf Papiermontage,
im Distanzrahmen 21 x 21 x 1,6 cm
vgl. “Merkbuchseite“ vom 2.Juni
Wir lachen zwar, wenn daran erinnert wird, wie man einst befürchtete, die Menschen würden die damals noch ungewohnte Geschwindigkeit der Eisenbahn nicht vertragen. Mitleidig kopfschüttelnd blicken wir auf die biedermeierliche Langsamkeit zurück, weil heute ja jeder weiß, dass die Ängste unbegründet waren.
Und doch – es scheint sich auf Umwegen etwas von den Vorhersagen zu bewahrheiten; denn hat nicht tatsächlich das Leben mit immer höheren Geschwindigkeiten begonnen, die Psyche der Menschen zu verändern und auf gesundheitsgefährdende Weise zu belasten?
Dafür ist wahrscheinlich einfach die durchschnittliche Lebenszeit zu kurz.
Denn nur Menschen können vor neuem Unheil warnen, die so alt werden, dass sie sich noch an die verhängnisvollen Fehler von einst und an deren Folgen erinnern.
Das Schwein aus der Herde des Epikur
Bei einem Landhaus in der Umgebung von Rom lebte vor [etwas mehr als] zweitausend Jahren ein Schwein, das zur berühmten Herde des Epikur gehörte.
Ganz und gar dem Nichtstun hingegeben, verbrachte es seine Tage und Nächte damit, sich im Schlamm des geschenkten Lebens zu suhlen und im Schmutz seiner Zeitgenossen herumzuwühlen, die es, sooft es nur ging – das heißt immer – , mit einem Lächeln bedachte.
Die Esel, Maulesel, Ochsen, Kamele und anderen Lasttiere, die vorbeikamen und sahen, wie gut es von seinem Herrn behandelt wurde, missbilligten seine Lebensweise zutiefst, wechselten untereinander vielsagende Blicke und warteten hoffnungsvoll auf den Schlachttag; das Schwein aber schrieb unterdessen Gedichte gegen sie und machte sich häufig über sie lustig.
Es vertrieb sich ferner die Zeit, indem es Oden und Episteln verfasste, und es ließ sich sogar einfallen, die Regeln der Dichtkunst aufzustellen.
Nur zwei Dinge vermochten das Schwein aus der Ruhe zu bringen: die Furcht davor, seine Bequemlichkeit zu verlieren, die es vielleicht mit de Furcht vor dem Tode verwechselte, und die Launenhaftigkeit von drei oder vier weiblichen Schweinchen, die so träge und sinnlich waren wie es selbst.
Es starb im Jahre 8 v. Chr.
Diesem Schwein verdankt die Welt zwei oder drei der schönsten Werke der Poesie: der Esel und seine Freunde aber warten noch immer auf den Tag der Rache.
aus: Augusto Monterroso – Das gesamte Werk und andere Fabeln
bei Diogenes