Junge Literatur aus Mexico

Wenn man die Unmengen von Neuveröffentlichungen bedenkt, die jährlich zu den schon vorhandenen Büchern hinzukommen, ist es abenteuerlich unwahrscheinlich, dass mich aus dem ganzen Wust ein kleines Werk treffen kann, das mich auf Anhieb gefangen nimmt – und doch ist so etwas möglich.

   . . . Gefüllte Bücherregale sehen gut aus und regen dazu an, Fragen zu stellen.  Andererseits haben nur die Bücher, die aus ihrem vertikalen Schlummer erwacht sind, ein Eigenleben.  Ein Buch, das auf dem Bett liegt, ist ein diskreter Begleiter, ein vorübergehender Liebhaber; eines, das auf dem Nachttisch liegt, ein Gesprächspartner; das auf dem Sessel ist ein Kissen für den Mittagsschlaf; das Buch, das seit einer Woche auf dem Beifahrersitz liegt, ein treuer Reisegefährte. . . . 

aus Valeria Luiselli – Falsche Papiere,

Antje Kunstmann Verlag

Noch immer Stein des Anstoßes

. . .  Gerade die schwächsten Leistungen der Kunst beziehen sich auf das unmittelbare Gefühl des Lebens, die stärksten aber, ihrer Wahrheit nach, auf eine dem Mythischen verwandte Sphäre: das Gedichtete. Das Leben ist allgemein das Gedichtete  der Gedichte – so ließe sich sagen;  doch je unverwandelter der Dichter  die Lebenseinheit zur Kunsteinheit überzuführen sucht, desto mehr erweist er sich als Stümper.  Diese Stümperei als “unmittelbares Lebensgefühl“, “Herzenswärme“, als “Gemüt“ verteidigt, ja gefordert zu finden, sind wir gewohnt.  . . . * 

Der Text macht es dem Leser nicht leicht; aber was hier über die Qualität von Dichtung gesagt wird, gilt auch heute noch für die anderen Künste in gleicher Weise.

*) aus:
Walter Benjamin – Schriften, Bd. 2, Zwei Gedichte von Hölderlin, Suhrkamp Vlg., 1955

Eine Konstante?

In Bildern etwas wiederzuerkennen, was einem bekannt und vertraut ist, scheint – Avantgarde hin, Postmoderne her  –  nach wie vor eines der wichtigsten Momente beim “Lesen“ der  Bilder zu sein.

Ungegenständliche Bilder haben es dementsprechend  schwer, obwohl auch sie durchaus Wiedererkennbares enthalten.

Was ist wirklich “wirklich“?

In Berlin zeigte mir einmal jemand das Photo eines Gebäudes, das es längst nicht mehr gibt  (eine öde Schuttfläche vor den Nachkriegsresten des Anhalterbahnhofs) und sagte dazu: “In Wirklichkeit hat hier der Anhalterbahnhof gestanden“.

Hatte ich es da nicht mit mindestens drei verschiedenen Wirklichkeiten zu tun?

Gedankensplitter

Es gibt inzwischen ein weltweit exponentiell wachsendes Kunstschaffen. Immer schneller werden die Werkmassen produziert, und ebenso schnell werden sie wieder vergessen.

Man begegnet diesen Konsumartikeln allenthalben, und so verschieden sie im einzelnen sein mögen, sie vermitteln oft den Eindruck: das habe ich schon irgendwo gesehen, gehört oder gelesen.

Für diese Art Kunst gebrauchen wir den abfälligen Ausdruck “Mainstream“, soll heißen: zu angepasst, zu affirmativ, zu flach, zu wenig Negativität usw.

Leider gehören in diese Kategorie meist auch Aktionen, die sich als Gegenbewegung verstehen, nämlich all die gedankenarmen und kurzlebigen Versuche, durch irgendwelche Regelverstöße Aufsehen zu erregen, ohne je etwas tatsächlich Neues zu schaffen.