Von innen und von außen gehört

“Es muss Spaß machen, das so spielen zu können.“
Gelegentlich hört man solch einen Kommentar zu einem souverain dargebotenen Musikstück, das scheinbar mühelos aus den Fingern eines Pianisten hervorperlt.

Wer so spricht, vergisst allerdings, dass die Zuhörer etwas ganz Anderes hören, als was der Virtuose darbietet. Er/sie vergisst, dass sich der Virtuose die Komposition durch den ganz unsentimentalen Lernvorgang und durch sein Üben analytisch zu eigen macht, bis sie sich für ihn in eine präzise inszenierte Vorlage für seinen Auftritt verwandelt hat.  Die Darbietung vor Zuhörern kann dann durchaus lustvoll sein; aber das, was die Zuhörer an der Komposition entzücken mag, muss der Virtuose längst hinter sich gelassen haben.

Hütchenspiel heute und damals

Tageskarikatur von Nel*, überzeugend einfach dargestellt und genial betextet. Das Grundschema ist uralt, und man begegnet ihm manchmal an einem Stand zwischen Straßenhändlern.

Vor 400 Jahren bei Bosch sah das noch so aus:

Immer wieder sind die Zuschauer von der Geschicklichkeit des Gauklers fasziniert.
Die Ahnungslosen wissen nicht, wie ihnen geschieht.

*) http://de.wikipedia.org/wiki/Ioan_Cozacu

 

Woher weht der Geschmackswind in unserer Kultur?

Was soll man davon halten?: wenn heute ein Musiklehrer danach fragt, ob jemand ein Instrument erlernt, wagen Schüler, die Musikstunden nehmen, nicht, sich zu “outen“, um nicht zum Gespött der Klassenkameraden zu werden. Sich für etwas zu interessieren, was die Anderen nicht kennen und ablehnen, ist einfach zu peinlich.

Als unser Sohn R. sieben Jahre alt wurde, freute er sich besonders über die LP mit Prokofievs  Peter und der Wolf, die er sich sehr gewünscht hatte und die sicher für seine weitere musikalische Entwicklung von Bedeutung war.  Als der Junge unserer Nachbarn nach Rs Geburtstagsgeschenken fragte, holte R den neuen Unimog heraus, den er als recht attraktives Spielzeug vorweisen konnte – kein Wort über Prokofiev.

Offenbar wusste R ganz genau, dass es sich nicht gehört, etwas zu mögen, woran die peer-group nicht interessiert ist.

Persönlicher Geschmack, wenn er sich denn überhaupt entwickelt, entfaltet sich nur im Schwimmen gegen den Strom.

 

Gedankenketten beim Dahindämmern im Krankenzimmer

Knack .. knack.. klopf .. klopf .. – ein Folge von kurzen Schlaggeräuschen – poch .. poch ..“knock, knock, knock“,  Macbeth, II,3 – wahrscheinlich nur das Metall des Heizkörpers, das sich ausdehnt – die Schläge setzen sich fort, ganz regelmäßig,  mit gelegentlichen “Aussetzern“ – ich beginne zu zählen u. stelle mir vor, wie das wäre, wenn mir jemand durch verschieden lange Schlagreihen etwas mitzuteilen versuchen würde, etwa acht Schläge für H, ein Schlag für A, zwei mal 12 Schläge für  LL und fünfzehn Schläge für O – Unsinn: das dauert doch viel zu lange, und was ist, wenn jemand ein ganz anderes Lautsystem meint; außerdem wäre längst schon ein Aufseher oder Wachhabender
gekommen, um gegen die Kommunikation einzuschreiten . . .

Jetzt in der Ferne auch andere(?) Handwerkergeräusche mit Bohrmaschinen – immer muss repariert werden, ewiges Weiterbauen, nie fertig, nicht ungefährlich – und ich stelle mir vor, wie ein wohl gelaunter Chef an so einem Blaukittel vorbei geht, der da mit seinem Bohrhammer zugange ist: “Sie bringen wohl gerade die Sprengkammer an?“  Der Chef fand den Mann im Arbeitskittel  nur deshalb etwas unsympathisch, weil er zu seinem Witzchen nicht einmal lächeln konnte – 45 Minuten später aber heulten in der Stadt die Sirenen, und man erfuhr später, dass es in einem bekannten Werkgebäude eine verheerende Explosion gegeben hatte . . .

Musik als Waffe

Vor Jericho blies man Trompeten, um die Mauern der Stadt zu Fall zu bringen.

In Hamburger Bahnhöfen spielt man klassische Musik, um unerwünschte Personen zu verscheuchen. Allerdings – wie man im Hamburger Abendblatt* lesen kann –  “das funktioniere nur bedingt. Schließlich seien auch Junkies durchaus der Klassik zugeneigt, wie eine Umfrage der Deutschen Welle an Hamburger Bahnhöfen zeigte. Klassische Melodien würde er sich sogar sehr gern ‘auf seinem Trip reinziehen’, sagte einer, der es wissen muss.

Viel effektiver wäre dagegen die ‘Vertreibung’, wenn Volksmusik à la Musikantenstadel gespielt würde. In dem Fall würden selbst hartgesottene Wegelagerer bahnhofsflüchtig. Geheimwaffe Volksmusik!“

*) H.A., 21.II.13 – Geheimwaffe Volksmusik: Wenn Mozart nichts mehr nützt

Lesefrucht

Anthologien und Sammelbände haben zweifellos ihre Berechtigung, aber das Durchblättern zerstreut die Aufmerksamkeit – kein Vergleich mit der direkten, ungeteilten Wirkung des einzelnen Werks.

Hans Magnus Enzensberger

Alter Schuppen

Zwei Weltkriege, Boom und Crash
hat er überdauert,
da hinten im verwilderten Garten.
Die Tür windschief, ergraut die Bretter,
Moos auf der Regentonne.
Architekt: unbekannt.
Unter Denkmalschutz steht er nicht.
Wer weiß, auch die neuen Hochhäuser
Wird er vielleicht überleben,

Drinnen verrostet Beitel und Zangen,
ausgetrocknete Farbtöpfe.
Eine löchrige Pferdedecke.
Der Überseekoffer aus Holz,
dem das Schloss fehlt.
Aber wenn es geschneit hat
führt doch wieder eine Fußspur,
wie damals, vor hundert Jahren,
zu der Schneeschaufel hin.