Archiv für den Monat: April 2013
Merkbuchseite
Lesefrucht
“Wenn nicht die Zuflucht der Phantasie wäre,
wenn sie nicht wären, die immer wieder, nach jedem Fertigsein
zu neuen Abenteuern und erregenden Versuchen weiter lockenden,
zu steigerndem Weitermachen verführenden Spiele und Unterhaltungen des Fabulierens, der Gestaltung, der Kunst – ich wüsste nicht, wie zu leben, von Rat und guter Lehre für andere ganz zu schweigen.“ *
Tja, wer hat das wohl gesagt? – Einer, der mit seiner umständlichen Perfektion für manchen Jüngeren zum Ärgernis geworden ist.
*) T.M., zitiert nach Safranskis Heidegger-Biographie, p 404
Röntgendenkmal in Gießen
Subjektive Maßstäbe
“Die Landschaft flog vorbei“, heißt es im Brief eines Reisenden aus dem 18. Jhdt. über eine Fahrt mit der Postkutsche von Mainz nach Mannheim. Den Heutigen, die an ganz andere Geschwindigkeiten gewöhnt sind, muss das Bild ganz unpassend vorkommen; sie erleben solche Langsamkeit allenfalls noch in einer auf Entschleunigung bedachten Urlaubsgestaltung.
In meiner Zeit in Schlesien musste ich alle Wege zu Fuß machen und dabei oft lange Strecken zurücklegen. Manchmal geschah es, dass eine der dort gebräuchlichen Kutschen anhielt, die Tür sich öffnete und mir ein Platz zum Mitfahren angeboten wurde. Damals hatte das Mitgenommenwerden für mich noch etwas von einem plötzlichen zauberhaften Dahineilen, was ich in dem Ausdruck “vorbeifliegen“ wiederfinde.
Neues aus dem Atelier
Lesefrucht
Thomas Kunst
Es wäre leicht zu zeigen, wie die besten
Gedichte hier verwahrlosen, gelassen
Im Untergrund in keine Gruppe passen:
Es hausen selbst in ihren kleinsten Resten
Soviel Magie und Tanz, dass sie gehasst
Und unbeteiligt ausgesondert werden:
Ersatzteillager sind, niemand gefährden,
Nicht mal verstummen lassen könnten fast
Hat es den Anschein hier im Land, als hätte
Bemühter Bildungslack die Herrschaft inne,
Verkümmertes Gedröhn, kein Sprachverstehen,
Nur Anempfundenheit und Daseinsglätte,
Doch niemals Poesie in meinem Sinne:
In zwanzig Jahren wird man weitersehen.
(für Ulrich Zieger)
aus: Der Literaturbote 107/108
Eine Art Bußpredigt gegen alles lau Angepasste.
“Jawohl, gib’s ihnen“, möchte der Leser sagen,
zögert dann aber, ungewiss, ob er sich nicht schon selbst der Lauheit schuldig gemacht hat.
Gedankensplitter
Es gibt Blicke und Momente, die man nie vergisst. Warum aber sind wir nicht fähig, solche Momente sogleich in ihrer besonderen Bedeutung für uns zu erkennen; warum muss sich ihre Wichtigkeit fast immer erst viel später herausstellen, wenn ein genaueres Hinsehen nicht mehr möglich ist?
Entscheidende Fragen
Zu Beginn eines beachtlichen Films* von Hans Steinbichler stellt sich die Hauptdarstellerin in Gedanken drei für sie wesentliche Fragen:
– Hast du Sex? – Bist du mobil? – Hast du Familie?
Bei der ersten Begegnung mit dem Film wirkten die Fragen ganz überzeugend wichtig – im Nachhinein jedoch schienen sie mir mehr einer modischen Erwartungshaltung zu genügen, als dass sie für eine zeitlos gültige Glücksformel gelten könnten.
Wie wäre es statt dessen mit:
– Kannst du mit dir allein sein? – Entscheidest du, was du arbeitest? – Hast du eine Zukunftsperspektive?
*) Hierankel, 2004
Glaubensfrage
Dürfen Kreationisten eigentlich Auto fahren?
In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das Automobil meines Wissens nicht vorgesehen – nicht einmal von Ochsenkarren war die Rede. als der Schöpfer am siebten Tag sein Werk betrachtete. Und überhaupt: war nicht schon die Erfindung des Rades ein Werk des Teufels?