(Tuschezeichnung)
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein Illtum!
Ernst Jandl, aus: Laut und Luise
Es waren keineswegs immer Prachtbauten, die unsere Vorfahren für ihre Bürgermeister und Ratssitzungen errichten ließen; aber würdevoll und ansehnlich waren sie allemal, weshalb sie – soweit die Furie des Verschwindens sie übrig gelassen hat – bis heute für Touristen und Photographen zu Hauptanziehungspunkten ihrer Städte geworden sind.
Ob freilich dieses Gebäude* –
– dereinst einmal zu einem Besuch der alten Reichsstadt Wetzlar anregen wird, darf bezweifelt werden.
Vielleicht haben es da die Limburger besser; denn die leidigen Querelen werden bald vergessen werden; aber die Domstadt ist nun um eine Touristenattraktion reicher geworden.
*) geplante Kreisverwaltung lt. WNZ
In einem Gedicht* von Ringelnatz heißt es:
. . . im Faltenwurfe einer Decke
Klagt ein Gesicht,
Wenn du es siehst. . .
Offenbar gehörte R. auch zu den Menschen, die spontan auf die vielen anthropomorphen “Gebilde“ reagieren, denen man in unserer Umwelt begegnen kann. Natürlich kommt es dabei auf dieses “Wenn du es siehst“ an. z.B.
(Bleistift, Ausschnitt aus einer Merkbuchseite)
*) Aus: Die schönsten Gedichte von Joachim Ringelnatz – bei Diogenes.
Gedichttitel: Komm, sag mir, was du für Sorgen hast
Dass man mit Zurückhaltung und Bescheidenheit in unserem Kulturbetrieb nicht weit kommt, wissen wir alle, und man sollte daher diese Tugenden nicht übertreiben. Aber solchen Rat benötigen unsere erfolgreichen Showgeschäftsleute nicht. Ihr Selbstbewusstsein scheint unter keinerlei Zweifeln zu leiden.
Gelegentlich hörte ich z.B. in einem Interview mit einem U-Musiker, wie er schulterklopfend von seinen Kollegen Bach oder Mozart redete und ihnen zubilligte, dass sie auch ganz schöne Musik gemacht hätten.
Die Sterne werden eben von der kleinsten Funzel verdunkelt, so lange die gerade mal brennt.
Von Heiner Müller stammt der Satz “WER MIT DEM MEISSEL SCHREIBT, HAT KEINE HANDSCHRIFT.“
Das klingt so schön lapidar und glaubhaft – auf den ersten Blick; aber beim Betrachten alter Grabplatten stößt man rasch auf die besonderen Merkmale unterschiedlicher Zeiten und Regionen. Es lassen sich sehr wohl auch die charakteristische Schreibstile einzelner Steinmetze entdecken. Für Graphologen jedoch wird solches Anschauungsmaterial wenig ergiebig sein: nicht spontan genug, zu steif und sorgfältig, zu unpersönlich.
Dem Einmeisseln einer Schrift entspricht ein wenig das Schreiben in Druckbuchstaben. Es dient meist dazu, eine ausgeschriebene. wenig leserliche Handschrift durch formal kontrollierte Zeichen zu ersetzen, die der Leser dann möglichst zweifelsfrei erfassen kann. Auch dies bereitet dem Graphologen keine Freude. Immerhin: diejenigen unter meinen Freunden, die ausschließlich in Druckbuchstaben geschrieben haben, waren immer am Charakter ihrer Schrift leicht zu erkennen. Das lag an der Häufigkeit und Raschheit ihres Schreibens.
Und heute? Die Finger laufen über die Tastenfelder, der Text erscheint in den immer gleich präzisen unpersönlichen Zeichen – “…und schrieb und schwand…“ – wenig Gelegenheit, eine persönliche Handschrift zu entwickeln.
Wahrscheinlich gibt es ebenso viele weise Sprüche, und vielleicht
haben sie eine befreiende Wirkung, wenn’s jemand wenigstens einmal ausspricht, z.B.:
Wie einfach wäre das Leben,
wenn sich die unnötigen Sorgen
von den echten unterscheiden ließen!
Heinrich Waggerl