Textverständlichkeit allein genügt nicht

Auch wenn man mal die abstrusen Begleitpapiere zu elektronischen Geräten aus Fernost beiseite lässt, es gibt eine unvermeidliche Unvollständigkeit aller Gebrauchsanweisungen:

fast immer stellt sich heraus, dass zusätzliches Wissen, Rückgriff auf sachdienliche Erfahrungen oder Übung in bestimmten Fertigkeiten notwendig sind, um das angestrebte Ergebnis zu erzielen.

Deshalb sind auch Notenpartituren oder Drehbücher keine Garantie dafür, dass bei der Realisierung Aufführungen zustande kommen, die den ursprünglichen Vorstellungen ihrer Autoren entsprechen.

Schon das laute Vorlesen eines Textes macht deutlich, welche Vielfalt an sinnverändernden, leider auch sinnentstellenden Interpretationen möglich ist, und wieviel Vorverständnis der Vorlesende mitbringen muss.

 

 

Ach, wie täuschbar doch unsere Augen sind!

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Hut ab vor dem Können der Spray-Künstler, die im Dienst der e.nwag die Wände von Transformator- und anderen Betriebsgebäuden im Wetzlarer Stadtgebiet gestalten.

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Selbst trotz der störenden Unterbrechungen der bildtragenden Wände bleibt die Illusion erhalten.

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Das freundliche Leuchten aus dem Walde wird leider durch die
unmittelbar anschließende bunte Bergwelt um seine Wirkung gebracht. Überhaupt wäre an diesem und anderen Gebäuden weniger mehr gewesen.

Immerhin scheinen diese gelungenen Arbeiten die Wände vor ungekonnten Vandalismen zu schützen.

“Kunst Hassen“

Eine lohnende Lektüre*: die Autorin berührt viele Fragen, die nicht oft genug gestellt werden können, und bringt viel Kontroverses zur Sprache.

Zutiefst geht es um den schwer lösbaren Gegensatz in der Kunstwahrnehmung: denn man wünscht sich eine Kunsterfahrung, die nicht durch Museumsleute und Galeristen vermittelt wird – eben einen möglichst freien und direkten Zugang. Andererseits sind für einen ergiebigen Umgang mit Kunst Vorkenntnisse nötig, die man sich nicht ohne Mühe aneignen kann.

Nach wie vor steht also dem We-don’t-need-no-education-Anspruch das Gefühl der Ausgeschlossenheit der weniger Gebildeten gegenüber.

Manches in dem Text fordert die Diskussion heraus; aber volle Zustimmung der Leser wird wahrscheinlich das Kapitel über das Aufsichtspersonal der Museen finden.

*) Nicole Zepter – Kunst hassen, eine enttäuschte Liebe

 

 

 

Lesefrucht

Wie schön, wenn ein Text gleich mit einer zitierbaren Lebensweisheit beginnt, z.B. Le Confessionnal*.

Der Autor führt uns zu Anfang zwei junge Leute in einer Caféteria vor, die überlegen, was sie bestellen wollen, und fährt dann kommentierend fort:

Tout cela n’avait pas d’importance, évidemment. Et pourtant cela en prendrait peut-être beaucoup un jour. On ne sait jamais. On vit des minutes qui paraissent être comme les autres, sans s’en rendre comte, puis, des années plus tard, parfois devenu vieux, on s’aperçoit que le reste de sa vie en avait dépendu.

(Das war natürlich alles belanglos. Aber, wer weiß, es konnte vielleicht eines Tages noch richtig Bedeutung gewinnen. Manche Minuten durchlebt man, die kommen einem, ohne dass man darüber nachdenkt, wie alle anderen vor, und dann, Jahre später, manchmal erst im Alter, merkt man, dass der ganze weitere Verlauf des Lebens von ihnen abhing.)

*) Georges Simenon
(einer seiner Romane ohne Maigret)

 

 

 

Apropos Büchnerjahr

Der Beifall für den Dichter und den politisch Handelnden, der ihn heute auf den Sockel hebt und dem wir uns wie selbstverständlich anschließen, fällt uns zu leicht. Unser Einverständnis mit diesem Menschen im Rückblick über zweihundert Jahre und unberührt vom schwierigen Lebenskontext seiner Zeit kostet uns zu wenig, um sich ihn als unseren Freund vorstellen zu dürfen.

Und überhaupt: bilde sich doch niemand ein, ein Autor, dessen Werke man verehrt, würde schon darum auch Wert auf die Gesellschaft, womöglich gar Freundschaft seiner Verehrer legen.

Freund Hein

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Begegnung im Supermarkt – dass Halloween ins Haus steht, weiß man ja, und doch: man darf ins Grübeln geraten, wenn man die Selbstverständlichkeit bedenkt, mit der solche Maskeraden  zwischen Haferflocken und Klopapier angeboten werden, in einem Supermarkt also, der unter dem Namen REAL (!) firmiert.

Gedankensplitter

Klar: erfolgreiche Politiker sind auch nur Menschen, die eben auch Fehler machen.
Andererseits: Leute, die das Zeug dazu haben, die Macht für politische Entscheidungen zu erringen, können keine “Normalos“ sein.

Dazu passt, was ich bei Enzensberger lese:

43 Z. fragte sich, ob Montaigne recht hatte, als er schrieb, man müsse die Politik den Robusteren und weniger Zögerlichen überlassen, die bereitwillig Ehre und Gewissen dafür hergeben.