Ein “Baummantel“

(bei Volpertshausen)

Jahrelang war zu beobachten, wie so ein Baum ganz allmählich aus dem Leben scheidet, wenn man ihn sich selbst überlässt, wie er stückweise verdorrt und dennoch im Frühjahr immer noch frische Triebe ausstreckt, wie er aufrecht bleibt, auch wenn kleine und große Äste, schließlich ein großes Trumm Baumkrone wegbrechen, und wie schließlich nur noch ein Teil der Rinde übrig bleibt. Jetzt steht die Hülle da wie das urige Gewand eines Fabelwesens, offenbar bewusst am Eingang zum Dorffriedhof wie ein Mahnmal aufgestellt.

Dem umweltbewussten und pfleglichen Umgang mit der Flurbepflanzung dieser Gemeinde sei Dank.

Beim Blick auf einen für den “Winterschlaf“ vorbereiteten Garten . . .

. . . fiel mir unwillkürlich ein, wie ich eines Morgens bei G. im Vorbeigehen seinen Garten lobte. Darauf er: “Ich bin nur für das Grobe da – das Säen und Pflegen macht der Chef“, sollte also heißen, seine Frau.

War das nun immer noch die Fortsetzung jener uralten Tradition, nach der der den Gefahren trotzende Ritter als Diener seiner Dame auftritt? Oder beschönigte da nicht doch jemand seine Bequemlichkeit, wenn er die lästigen, weil  sorgsamen und zeitaufwendigen Arbeiten lieber seiner Frau überlässt?

Hab ich’s nicht gesagt?*

“Vergessen Sie Ihren Kopf nicht . . . aber andererseits wozu? Ist ja mittlerweile doch alles in der Wolke!“
Karikatur von Dirk Meissner in der SZ vom 26.11.12

Bewundernswerter Einfall des Zeichners, den so abstrakt wie “nebulösen“ Sachverhalt in einem einzigen Bild nebst kurzer Legende einzufangen. Selbst wer bei der hier kritisch kommentierten neuen Technik nicht durchblickt, kann seine Freude an der surrealistischen Szene haben, und wer Meissners Arbeiten öfters verfolgt, staunt über die Ausdrucksmöglichkeiten der klobigen Linien, die hier fast schon ins Metaphysische reichen.

*) siehe meinen Blogeintrag vom 22.11.12

 

Gedankensplitter

Es kommt wohl nicht selten vor, dass man ein Gesangsstück erlebt und davon bewegt wird, ohne dass man den Text verstanden hat, ja vielleicht sogar, ohne dass man sich mit dem Textsinn überhaupt befassen mag.

Das entspricht dem Wahrnehmen eines Bildes allein durch die Farbwirkung, ohne die zeichnerische Komposition “richtig“ entziffert oder überhaupt verstanden zu haben. Nicht wenige Betrachter lehnen deshalb analytische Bildbetrachtungen als Störung des Kunstgenusses ab.

Umnutzung

Findige Leute wissen sich immer zu helfen: hier z.B. in einem  weitläufigen öffentlichen Gebäude tut der Einkaufwagen gute Dienste als Werkzeuglore, und ALDI SÜD kann den Verlust sogar noch als Werbung verbuchen.

Das Stichwort Umnutzung fällt meist im Zshg mit Gebäuden. Zu denken wäre etwa an die Verwendung einer Moschee als Kirche, einer Kirche als Garage, einer Garage als Malerstudio, eines Malerstudios als Vereinslokal usw.

Aber darüber hinaus wäre in so unendlich vielen Bereichen vom Prinzip Umnutzung  zu sprechen, dessen kulturgeschichtliche Bedeutung gar nicht hoch genug  geschätzt werden kann, ob einer nun mit der Nagelfeile ein Gitter durchsägt, ein Bauer den Stahlhelm des letzten Krieges als Jauchekelle verwendet oder ob zur Abwechslung der Verteidigungsminister das Familienministerium übernimmt.

 

So vertraut und so unbekannt

Wie so viele Kinder lernte ich schon früh die Kölner Heinzelmännchen kennen – vom Wunder der Blauen Grotte zu Capri wird früher oder später jeder schon gehört haben – und Carl Loewes Lied vom Nöck verzaubert auch heute noch so manchen Hörer; aber wahrscheinlich geht es nicht nur mir so, dass sich der Name, der diese drei kulturellen Highlights verbindet, nicht eingeprägt hat:

August Kopisch  (*1799 in Breslau – †1853 in Berlin) war ein vielbegabter Tausendsassa, der zu seiner Zeit, wie man so sagt, alle wichtigen Leute kannte. Er war Maler, Dichter, Übersetzer, Kunstberater, Organisator, Reisender und Sportler (als tüchtiger Schwimmer entdeckte er jene Blaue Grotte); er verbrachte mehrere Jahre in Neapel; aus dieser Zeit stammt sein Bild von einem Vesuvausbruch, das z.Zt. in der Ausstellung zur Schwarzen Romantik im Städel gezeigt wird.

Nachzulesen hat sich also gelohnt: plötzlich fügen sich verstreute Puzzleteile zu einem gemeinsamen Bild zusammen, und ein unverdientes Vergessen wird vielleicht ein wenig gebremst.

Omnia mea mecum porto*

Aus dem Satz spricht die stolze Genügsamkeit eines Menschen, der nichts Überflüssiges mit sich herumschleppt. Wer im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten und mit einem guten Gedächtnis ausgestattet ist –  soll das wohl heissen – wird in jeglicher Situation anpassungsfähig reagieren können.

Zugleich gibt es auch den Ehrgeiz, möglichst viele Pannen und Probleme “mit Bordmitteln“, also ohne fremde Hilfe erledigen zu können.

Aber kann man denn im Zeitalter von iPhone und iPad noch von Bordmitteln reden, wenn die Daten aus der “Wolke“ gezapft werden, das funktionierende Stromnetz einmal vorausgesetzt?

*) Alles, worüber ich verfüge, trage ich bei mir.