M.M., fast körperhaft präsent, 1981,
Bleistift und Papiercollage,
Rahmengröße 34 x 31x 1,6 cm
In Brahms’ Haydn-Variationen gibt es eine, auf deren Beginn er bei jedem Wiederhören wartet, wie das Kind auf den Schwan.
Ungewöhnlich früh am Morgen läutete mein Telephon – mein Name war offenbar nicht, was mein Gesprächspartner hören wollte; denn es sprach eine kräftige Männerstimme zu mir und sagte “Entschuldigung, wir haben sich verwählt“.
Ein andermal versprach mir jemand Abhilfe bei einem technischen Problem und kündigte fröhlich an “Wie melden sich“.
Das unflektierte Reflexivpronomen fällt uns auf – noch(!) – aber alle Wandlungen unserer Sprache haben sich ja wohl immer erst als kleine Irritationen eingeschlichen, ehe sie Standard wurden.
Wer Herta Müllers Collagenbuch* aufschlägt, ist zunächst mehr Betrachter als Leser. Wie mit bunten Bruchstücken zu Mauern aufgetürmt fügen sich die collagierten Sprachbausteine zusammen. Dass es sich dabei um lesbare Texte handelt, wird durch kleine ikonische Elemente betont, die hier nach Art von Illustrationen zwischen gedruckten Texten beigefügt sind. Aber erst auf den zweiten Blick beginnt der Leser, dem Wortsinn der Zeilen zu folgen und den surrealistisch-assoziativen Beziehungen nachzuspüren. Dann ergeben sich – in gewohnte Sprache rückübersetzt – kleine Gedichte wie z.B.
Und nichts gerät
Im Alphabet der Angst
so hundeköpfig plump
und gleichzeitig eidechsig zart
wie die Gegenwart
*) Herta Müller – Die Blassen Herren mit den Mokkatassen
erschienen bei Hanser