Gedankensplitter

Dass man mit Zurückhaltung und Bescheidenheit in unserem Kulturbetrieb nicht weit kommt, wissen wir alle, und man sollte daher diese Tugenden nicht übertreiben. Aber solchen Rat benötigen unsere erfolgreichen Showgeschäftsleute nicht. Ihr Selbstbewusstsein scheint unter keinerlei Zweifeln zu leiden.
Gelegentlich hörte ich z.B. in einem Interview mit einem U-Musiker, wie er schulterklopfend  von seinen Kollegen Bach oder Mozart redete und ihnen  zubilligte, dass sie auch ganz schöne Musik gemacht hätten.

Die Sterne werden eben von der kleinsten Funzel verdunkelt, so lange die gerade mal brennt.

Schlechte Zeiten für Graphologie?

Von Heiner Müller stammt der Satz “WER MIT DEM MEISSEL SCHREIBT, HAT KEINE HANDSCHRIFT.“

Das klingt so schön lapidar und glaubhaft – auf den ersten Blick; aber beim Betrachten alter Grabplatten stößt man rasch auf die besonderen Merkmale unterschiedlicher Zeiten und Regionen. Es lassen sich sehr wohl auch die charakteristische Schreibstile einzelner Steinmetze entdecken. Für Graphologen jedoch wird solches Anschauungsmaterial wenig ergiebig sein: nicht spontan genug, zu steif und sorgfältig, zu unpersönlich.

Dem Einmeisseln einer Schrift entspricht ein wenig das Schreiben in Druckbuchstaben.  Es dient meist dazu, eine ausgeschriebene. wenig leserliche Handschrift durch formal kontrollierte Zeichen zu ersetzen, die der Leser dann möglichst zweifelsfrei erfassen kann. Auch dies bereitet dem Graphologen keine Freude. Immerhin: diejenigen unter meinen Freunden, die ausschließlich in Druckbuchstaben geschrieben haben, waren immer am Charakter ihrer Schrift leicht zu erkennen. Das lag an der Häufigkeit und Raschheit ihres Schreibens.

Und heute? Die Finger laufen über die Tastenfelder, der Text erscheint in den immer gleich präzisen unpersönlichen Zeichen – “…und schrieb und schwand…“ –  wenig Gelegenheit, eine persönliche Handschrift zu entwickeln.

Eines der vielen unlösbaren Probleme

Wahrscheinlich gibt es ebenso viele weise Sprüche, und vielleicht
haben sie eine befreiende Wirkung, wenn’s jemand wenigstens einmal ausspricht, z.B.:

Wie einfach wäre das Leben,
wenn sich die unnötigen Sorgen
von den echten unterscheiden ließen!

Heinrich Waggerl

 

 

 

Beim Nachdenken über Variationen

Selbstverständlich kann nur der ganz den Reiz von Variationen erfassen, der zunächst das Ausgangsstück (Bild oder Musik) kennt. Aber spricht nicht auch ein Variationswerk zu uns, dessen “Quelle“ uns unbekannt bleibt? Es hat doch offenbar auch dann einen eigenen Wert.

Begreift man einmal Variationen als eine Art Antwort auf ein Werk, kann man schließlich jedes neue Kunstwerk im weitesten Sinne als Abwandlung von schon Geschautem/ Gehörten  verstehen.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang die Kulturbereiche, in denen wir ganz selbstverständlich freie Bearbeitung irgendwelcher Quellen erwarten, wie z.B. im Jazz oder bei der Verfilmung literarischer Vorlagen. Auch Übersetzungen sind zwangsläufig Bearbeitungen, also variable Umformungen, deren Urwortlaut wir selten kennen.

Musik als Foltermedium

150314

 

Hieronymus Bosch – Ausschnitt aus dem rechten Flügel
des Gartens der Lüste

Kürzlich hörte ich vom Schicksal einer mir bekannten älteren Dame: bettlägerich und in vielfacher Weise hilfsbedürftig ist sie in einem Heim untergebracht, und zwar in einem Zweibettzimmer zusammen mit einer im Koma liegenden Frau, deren Mann dafür sorgt, dass sie ständig mit “heiterer Musik“ (HR3?) beschallt wird, um sie auf diese Weise womöglich wieder zu Bewusstsein kommen zu lassen. Eine Umlegung in ein anderes Zimmer ist angeblich aus organisatorischen Gründen nicht möglich.

Gesundheitsminister Rühe und Co. schert so etwas wenig; sie preisen uns die Wohltaten der Hospizbewegung und haben kein Verständnis für den Wunsch mancher Menschen, ein qualvolles  Leben in aller Ruhe beenden zu können.