Reiz der Sudokus

Erstaunlich  die Beliebtheit, die dieses Spiel erlangt hat, die Riesenwelle seiner internationalen Verbreitung  – und dazu die Frage, warum diese Verbreitung erst vor rund dreißig Jahren geschah, obwohl die Grundidee der Spielregeln schon im 18. Jhdt. konzipiert wurde.

Die späte “Zündung“ und die Gründe der raschen Ausbreitung müssten Soziologen und Philosophen beschäftigen.

Wenn ich mir selbst die Frage nach dem Reiz der Sudokus stelle,  dominiert der Gedanke, dass jedes Mal aus ein paar chaotisch verteilten Brocken ein harmonisch geschlossenes Ganzes wird und dass man das “mit Bordmitteln“, also ohne jede fremde Hilfe, schafft. Immer sind wir sicher, dass es eine eindeutige Lösung gibt und dass man sie finden kann, wenn man nur lang und aufmerksam genug nach ihr sucht.

Wünscht nicht mancher, der Sinn unseres Daseins könne sich mit ähnlicher Beharrlichkeit finden lassen?

Abreißgedicht

Wenn sich die Gelegenheit zu einem Besuch bietet, schau ich im Literaturhaus nach, ob mir jemand wieder was gedichtet hat. Es hängen jetzt allerdings manche Gedichte über Monate an der Wand, und es erscheint wenig Neues – vielleicht nach dem Prinzip, dass es keinen Nachtisch gibt, wenn nicht vorher der Teller leer gegessen worden ist. Meine Gedanken bleiben an einem Blatt hängen:

Volker Sielaff

Formel 

Manchmal ist dir nach rührseligem Kitsch.
Aber das sind schwache Momente. 

Dann wieder Eis, Kantiges,
das Gegenteil von Handwerkskunst.

Zusammengeschnurrt auf diese eine Formel,
was bedeutet das?

Wir sind Eispickel, unser tägliches Klopfen
gegen den Berg, Gestrandete.

Kugelform, Erlösung,
das Kindsein erledigt sich nicht
von selbst.

Aus: Selbstportrait mit Zwerg,
Wiesbaden, luxbooks 2012, p.43

Merkbuchseite

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Geheimnisvolle Umrisslinien,
“herausgelöst“ aus einem Holzschnitt des 16. Jhdts.

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Seite aus den Songes drolâtiques des Rabelais:
spielerisch – bewusst verwirrend – phantasievoll –
und professionell gekonnt.

Lesefrucht

“Wenn nicht die Zuflucht der Phantasie wäre,
wenn sie nicht wären, die immer wieder, nach jedem Fertigsein
zu neuen Abenteuern und erregenden Versuchen weiter lockenden,
zu steigerndem Weitermachen verführenden Spiele und Unterhaltungen des  Fabulierens, der Gestaltung, der Kunst – ich wüsste nicht, wie zu leben, von Rat und guter Lehre für andere ganz zu schweigen.“ *

Tja, wer hat das wohl gesagt? – Einer, der mit seiner umständlichen Perfektion für manchen Jüngeren zum Ärgernis  geworden ist.

*) T.M., zitiert nach Safranskis Heidegger-Biographie, p 404

Röntgendenkmal in Gießen

 

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“Hier tut man nun wie selten nur
‘nen Blick ins innere Walten der Natur.“ (Busch)

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Bei günstigen Witterungsverhältnissen kann man sogar die Wärme beobachten, mit der die (8!) Strahlen den Knochen durchdringen.

Sage doch bitte niemand, die Kernphysik entziehe sich der unmittelbaren Anschauung.

Subjektive Maßstäbe

“Die Landschaft flog vorbei“, heißt es im Brief eines Reisenden aus dem 18. Jhdt. über eine Fahrt mit der Postkutsche von Mainz nach Mannheim. Den Heutigen, die an ganz andere Geschwindigkeiten gewöhnt sind,  muss das Bild ganz unpassend vorkommen; sie erleben solche Langsamkeit allenfalls noch in einer auf Entschleunigung bedachten Urlaubsgestaltung.

In meiner Zeit in Schlesien musste ich alle Wege zu Fuß machen und dabei oft lange Strecken  zurücklegen. Manchmal geschah es, dass eine der dort gebräuchlichen Kutschen anhielt, die Tür sich öffnete und mir ein Platz zum Mitfahren angeboten wurde. Damals hatte das Mitgenommenwerden für mich noch etwas von einem plötzlichen zauberhaften Dahineilen, was ich in dem Ausdruck “vorbeifliegen“ wiederfinde.