Gedichte heute und vordem

Wer den Text eines Gedichts aus vergangener Zeit nicht versteht, neigt vielleicht leichter zu der Vermutung, dass ihm da ein Geheimnis entgeht, zu dem leider der Schlüssel verloren gegangen ist.

Bei einem zeitgenössischen Werk jedoch halten viele das, was sie nicht gleich verstehen, für baren Unsinn.

Dicke Wälzer, . . .

… so hört man, haben es in diesen Tagen immer schwerer auf dem Büchermarkt: die Leser verlangt es eher nach kurzen Romanen in schmalen Bänden.

Zwar gehöre auch ich zu denen, die vor Büchern mit hohen Seitenzahlen zurückschrecken; aber gelegentlich mache ich mich doch auf zur Erlebnissafari, die solche Lektüre bedeuten kann.

Dabei ist mir zum wiederholten Mal bewusst geworden, dass das tiefe Eintauchen in eine fremde Welt nur durch eine dieser langen, selbstvergessenen Lesephasen erreicht wird, aus denen man am Ende wie aus einem Parallel-Leben zurückkehrt.

Z.B. jetzt wieder bei
Un long dimanche de fiançailles
von Sébastien Japrisot , Éditions Denoël

Aus Herrn Zetts Betrachtungen

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“Ist Ihnen aufgefallen“, fragte Z., “dass die Reklameleute die Klassiker enteignet haben? Mozart und Molière, das war gestern.

Heute prangt das Wort Classic – natürlich auf Englisch, denn Deutsch verstehen diese Personen nicht – auf Flaschen mit Badeschaum, auf teuren Bleistiften und auf Käseschachteln.“

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Und z. B. auch auf Bierflaschen, kann man hinzufügen.

*) Hans Magnus Enzensberger bei Suhrkamp

 

 

Europawahl 2014

Die wachsende Macht des Rechtspopulismus scheint zwei Theorien zu bestätigen:

Die Menschen sind viel zu befangen in ihren alltäglichen Nöten und Vergnügungen, als dass sie verantwortungsvolle und weitsichtige politische Entscheidungen treffen könnten; es fehlt  an  Wissen und  Energie.

Und es ist immer nur eine Minderheit, die aus geschichtlicher Erfahrung etwas für die Zukunft lernt.

Einziger Trost und kleine Chance für die vernünftige Realisierung eines geeinten Europas: während die positiven Kräfte von einer gemeinsamen Idee getragen werden, müssen sich die Europa-kritiker wegen ihrer teilweise konträren Interessen gegenseitig ins Gehege kommen.

Seltsam

Fast im gleichen  Maße, wie mir von täglich gebrauchten Schlüsseln einer nach dem anderen verloren geht, füllt sich die Schachtel mit den Schlüsseln, von denen niemand mehr weiß, zu welchem Schloss sie passen sollten.