Gedankensplitter

War nicht früher der Austausch über das, was einen bewegte, universeller?

Jetzt, da es so viel mehr Interessantes und Bewegendes gibt, das unsere Aufmerksamkeit  lockt, wird dessen Nutzung als Kommunikationsmittel (vulgo: als gemeinsamer Gesprächsstoff) immer fragwürdiger: die Lektüre, das zufällige Ansehen eines Films, die Freude an einem seltenen Naturschauspiel oder an einem ungewöhnlichen Konzertereignis, sie alle werden mehr und mehr zu privaten Erlebnissen, die nicht mehr zum Ausgangspunkt gemeinsamer(!) Reflexion taugen.

Die Kunst der Plakatabrisse

Heute auf dem Parkplatz am Supermarkt. Wahrscheinlich ahnen die Leute, die die Plakatwände zu bearbeiten haben, nichts davon, dass sie Materialien und Techniken verwenden, mit denen man noch unlängst Kunst gemacht hat, von der man übrigens nicht sagen kann, sie sei brotlos gewesen.

Aber wer kennt in unseren Tagen noch die Namen Rotella, Villeglé, Hains, Dufrêne? Sie waren die Meister, die die Sensibilität für die Ästhetik* der Décollage nachvollziehbar gemacht haben.

Es schadet nichts, sich einmal unverkrampft darauf einzulassen.

*) Bitte Ästhetik nicht mit Kosmetik zu verwechseln

Gemeinsamer Nenner?

Die Weltanschauungen des Reformators und des Aufklärers wären sicher nicht vereinbar gewesen, und hätte es ein Gespräch zwischen Luther und Voltaire geben können, wären wahrscheinlich die Fetzen geflogen.

Aber dennoch gibt es eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den beiden:

Bekannt ist Luthers Lebensregel, sich durch nichts daran hindern zu lassen, sein Apfelbäumchen zu pflanzen. Fugenlos passt dazu der Schlusssatz aus Voltaires Candide, in dem der Held die Konsequenz aus allen Wirrnissen und leidvollen Erfahrungen seines Lebens zieht: “. . . mais il faut cultiver notre jardin.“ (. . . aber wir müssen uns an unsere Gartenarbeit machen.)

 

Unscheinbare Kostbarkeiten

Wer sich auskennt, braucht sich in einem archäologisch interessanten Gebiet vielleicht nur zu bücken, um zehntausend Jahre alte Pfeilspitzen aufzulesen –  oder wenn jemand mit den notwendigen Kenntnissen vorbeikommt, nimmt er auf dem Trödelmarkt für billiges Geld etwas mit, was sich nachher als unerwartet wertvoll erweist.

Die ahnungslosen Zuschauer, die sich genau so leicht bücken, bzw. den kleinen Betrag hätten zahlen können, haben das Nachsehen und nehmen solche Momente mehr oder weniger neidvoll wahr.

Ähnlich beschämt erlebe ich es, wenn ein Könner ergiebige Stellen aus einem leicht zugänglichen Text zitiert, die ich zwar gelesen, in ihrer tieferen Bedeutung aber nicht erfasst habe.

Ein “Baummantel“

(bei Volpertshausen)

Jahrelang war zu beobachten, wie so ein Baum ganz allmählich aus dem Leben scheidet, wenn man ihn sich selbst überlässt, wie er stückweise verdorrt und dennoch im Frühjahr immer noch frische Triebe ausstreckt, wie er aufrecht bleibt, auch wenn kleine und große Äste, schließlich ein großes Trumm Baumkrone wegbrechen, und wie schließlich nur noch ein Teil der Rinde übrig bleibt. Jetzt steht die Hülle da wie das urige Gewand eines Fabelwesens, offenbar bewusst am Eingang zum Dorffriedhof wie ein Mahnmal aufgestellt.

Dem umweltbewussten und pfleglichen Umgang mit der Flurbepflanzung dieser Gemeinde sei Dank.

Beim Blick auf einen für den “Winterschlaf“ vorbereiteten Garten . . .

. . . fiel mir unwillkürlich ein, wie ich eines Morgens bei G. im Vorbeigehen seinen Garten lobte. Darauf er: “Ich bin nur für das Grobe da – das Säen und Pflegen macht der Chef“, sollte also heißen, seine Frau.

War das nun immer noch die Fortsetzung jener uralten Tradition, nach der der den Gefahren trotzende Ritter als Diener seiner Dame auftritt? Oder beschönigte da nicht doch jemand seine Bequemlichkeit, wenn er die lästigen, weil  sorgsamen und zeitaufwendigen Arbeiten lieber seiner Frau überlässt?

Hab ich’s nicht gesagt?*

“Vergessen Sie Ihren Kopf nicht . . . aber andererseits wozu? Ist ja mittlerweile doch alles in der Wolke!“
Karikatur von Dirk Meissner in der SZ vom 26.11.12

Bewundernswerter Einfall des Zeichners, den so abstrakt wie “nebulösen“ Sachverhalt in einem einzigen Bild nebst kurzer Legende einzufangen. Selbst wer bei der hier kritisch kommentierten neuen Technik nicht durchblickt, kann seine Freude an der surrealistischen Szene haben, und wer Meissners Arbeiten öfters verfolgt, staunt über die Ausdrucksmöglichkeiten der klobigen Linien, die hier fast schon ins Metaphysische reichen.

*) siehe meinen Blogeintrag vom 22.11.12