Perspektive ohne Fluchtpunkt

Letzte Woche wurde hier in unserer Nähe einem Rinderzüchter seine Herde weggenommen und in einem anderen, fernen Betrieb  zur Versorgung untergebracht.  Die Maßnahme erfolgte nach behördlicher Anordnung angeblich wegen jahrelanger Missstände in der Tierhaltung des Betriebs.

Das ist natürlich ein betrüblicher Fall für den Eigentümer wie für seine Rinder. Aber “wir mussten jetzt handeln, um den Tieren eine vernünftige(!) Perspektive zu ermöglichen.“ So der zuständige Amtsarzt.

Jeder weiß, was er sagen wollte; aber gesagt hat er es eben nicht.

Quelle: WNZ, 16.II.13

Jedem Yin sein Yang

Je eindeutiger eine Sprichwortregel, desto klarer der Widerspruch mittels eben solch einer Regel:

– Es ist nie zu spät, Fehler abzustellen und es besser zu machen.

– “Das Leben ist keine Generalprobe, sondern die Aufführung.“*

Also, was nu?
Klar, die Sätze sind nicht ganz deckungsgleich, aber im  Ergebnis löschen sie sich gegenseitig aus.

*) Harold Faltermeyer, Filmmusikkomponist, SZ, 8.II.13
 

Gute Tat

Neulich sah ich einen schweren Brummi mit Anhänger am Straßenrand warten. Die Lkw-Fahrer müssen wohl viel Frust ertragen und tun mir leid. Die Gegenfahrbahn war gerade frei, also blinkte ich und ließ das schwerfällige Gespann in den Verkehrsfluss einbiegen.

Ich sollte nicht unbelohnt bleiben: aus dem Fenster der Führerkabine reckte sich an langem Arm eine Hand, die mir zum Dank in einer unnachahmlichen Mischung aus Huld und Lässigkeit den Segen spendete – der Gedanke an den aus der verbergenden Wolke hernieder deutenden Finger des Herrn lag nahe.

Zauber der “graphischen Jahreszeit“

Die verzauste Astwirrniss dieser Baumgruppe lockt zum Hinschauen – dabei kann man es natürlich belassen ­– aber der eine oder die andere rufen sich vielleicht auch z. B. Piet Mondrians Apfelbaumbilder in Erinnerung und die Kette seiner immer abstrakter werdenden Bildkompositionen, wie sich da aus dem finsteren Gestrüpp in vielen Schritten eine utopisch heitere Farbwelt  entwickelt hat.

  

 

 

 

Ungewissheiten, mit denen wir zu leben gewohnt sind

Gerhard D., mit dem mich seit vielen Jahren seine wissenschaftliche Arbeit und unsere Gespräche verbinden, war  empört: ihm war ein Fall zu Ohren gekommen, in dem ein  renommierter Kunstfachmann zu einem Werk eine Expertise abgegeben habe, ohne dass er das Objekt überhaupt vor sich gehabt hätte. “Was sind das denn für Methoden?“ fragte er mit Recht, wenn auch etwas naiv; denn dergleichen kommt leider häufiger vor, als man glaubt.

Trägt man einmal alle Fälle von Täuschung  zusammen, von denen man überhaupt etwas erfährt, etwa dass jemand biochemische Experimentaldaten fälscht, um irgendeine Theorie glaubhaft zu machen, oder dass – wie Arno Schmidt berichtete – jemand einen trigonometrischen Punkt kurzerhand beiseite rückt, weil er seinem Traktor im Wege ist, oder was sonst leichtfertig oder böswillig an Irreführungen begangen wird, dann lässt sich daraus extrapolieren, dass die Masse dessen, was wir als gesichert zu wissen meinen, eigentlich nur eine Datenwolke ist mit – sagen wir mal unter Berücksichtigung einer vermutlich hohen Dunkelziffer – etwa 65% Wahrheitsgehalt.