Zweifelhafter Fortschritt

Früher war es so: man war in Kontakt mit den Menschen, mit denen man lebte und Umgang hatte. Um Gedanken über Entfernungen jenseits der Hörweite mitzuteilen, schrieb man Briefe.

Nun braucht Briefe zu schreiben und zu verschicken sogar heute noch seine Zeit, und selbst sehr produktive Briefschreiber mussten sich überlegen, wem zu liebe sie diese Zeit aufbringen wollten. Das hat die Zahl der möglichen Korrespondenten in überschaubarem Rahmen gehalten.

Jeder Facebook-Teilnehmer mit seinen Hunderten von so genannten Freunden kann da nur mitleidig lächeln. Über alle geographischen und sozialen Distanzen hinweg tritt er, ohne warten zu müssen, mit abstrakten Profilen von persönlich unbekannten Menschen in einen Kontakt, der freilich nur unter besonderen Glücksumständen zu einer tatsächlichen Begegnung führen kann.

Allerdings, falls sich nicht zufällig irgendwelche Geheimdienste für diese Korrespondenz interessieren, vergeht all das elektronische Hin und Her wie nie geschehen. Es wird also niemand geben, der sich noch nach, sagen wir, zweihundert Jahren über die aufgezeichneten Gedanken unserer Zeitgenossen beugt, um zu verstehen, was in unserer Zeit vor sich gegangen ist.

Einladende Helle

Wie oft bin ich schon an dieser kleinen Sackgasse in Weidenhausen vorbei gefahren, ohne mich um die meist finstere Enge zu kümmern. Aber der Schneeteppich machte jetzt alles hell und freundlich, die Formen und Strukturen traten in ihrer graphischen Wirkung hervor.
Auch die kleine Kirche war wie von allem Überflüssigen befreit:

 

 

 

Lesefrucht

2008 erschien Peter Rühmkorfs Paradiesvogelschiss bei Rowohlt. Der Band enthält neben ausgearbeiteten Gedichten auch eine Sammlung von nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Gedichtskizzen, Aphorismen und ähnlichen Eintragungen – viel Heiteres, gelegentlich kalauernd  trotz seiner tödlichen Krankheit, viel Besinnliches, auch Ausdruck von Resignation – eigentlich insgesamt aber ein kräftiges Brevier für Stoiker.

An den Tod
Fort – fort,
dies kann die Welt noch nicht gewesen
und bumms zu Ende sein.
All diese Bücher wolln ja noch gelesen
und diese Hosen aufgetragen sein.

– – –

Noch schnell paar Verse aus dem Haus.
Die Tage sähen sonst
wie nie gewesen aus.

– – –

Was immer ist, wir hatten unsern Spaß.
Zum Beispiel, dass wir Mund an Mund
nach Wahrheit schnappten:
Es gibt nichts Wahreres
als nett verbrachte Vanitas:
Vergiss die Gegenwart und freu dich des Gehabten

 

 

 

 

Netter Arbeitgeber

Ein holländischer Freund rief mich jetzt an. U.a. erzählte er mir von der deutsch-niederländischen Graphikmesse, die jährlich in Borken stattfindet, in diesem Jahr im März. Da träfe er sehr viele Kollegen, und da würde er auch wieder “was trinken“.

“Donnerwetter!“ kommentierte ich, “wir haben schon den 21.Januar, und Du willst mit dem Trinken noch bis zum März warten?“

“Ja,“ erklärte er, “jeden Januar schicke ich meine Leber für einige Zeit in die Ferien. . .“.
(wobei zu ergänzen war: bis sie wieder ran muss.)

Von ihm stammt übrigens auch die Frage “Gibt es eine Leber nach dem Tode?“

Wie war das nochmal?

Es kommt öfters vor, dass man einem Radiosprecher aufmerksam zuhört, wenn er zu einem interessanten Thema etwas zu sagen weiß, dass aber schon ein kurzer Versprecher oder eine kleine Ungenauigkeit genügt, um den Hörer in Gedanken abschweifen zu lassen.

Neulich hörte ich eine Theaterrezension von Ruth Fühner im hr2.
Vom Bühnenbild sagte sie, es sei so “wie bei Escher, wo die Perspektiven nicht stimmen“.

Die Sprecherin konnte sich bei dieser Beschreibung auf die verworrenen Vorstellungen verlassen, die in Sachen Perspektive weithin herrschen, weil der Unterschied zwischen Zentralperspektive und anderen Darstellungssystemen wenig verstanden und kaum beachtet wird.

Eschers Parallelperspektiven sind sehr genau eingesetzt. Sie irritieren gerade deshalb, weil er sie so präzise und konsequent angewandt hat.

(Kleine Kostprobe, wie so etwas aussehen kann)

In der Drehtür zu lesen

Normalerweise nimmt man solche Texte gar nicht wahr, weil die Drehtüren ja meist tun, wozu sie da sind.

Und was erfahren wir, wenn wir die Gebrauchsanweisung tatsächlich lesen? – Entweder dreht die Tür automatisch – dann muss niemand anschieben. Dreht sie ausnahmsweise nicht, dann ist die Automatik defekt, und auch Anschieben kann nicht helfen. Aber immerhin: die beiden Sätze sind verständlich.

Was aber tut man im Notfall? An welche Notfälle wird da gedacht? Und was soll dann aufgeklappt werden? (Augen, Gebiss, Messer, Notizbuch, Butterbrot, Handy …?) An der drehenden Tür jedenfalls fällt nichts Klappbares in die Augen.