“Herrliche Unendlichkeit“

Unter diesem Titel kommt die Februar-Ausgabe des “Literaturboten“* daher, und entsprechend wild dreht sich der innere Zeiger bei der Suche nach dem Text, der die größte Aufmerksamkeit des Lesers verdient: von der reichen Vielfalt wird er beschenkt und angeregt, aber zugleich erlebt er die Fülle als Aufgabe, die Orientierung in einem sich ständig erweiternden Labyrinth nicht zu verlieren.

So greife ich ohne lange Begründung nach dem, woran mein Blick hängen bleibt, z.B.:

Franz Hodjak**

Aufgelassener Bahnhof 

Einst
wechselte ich hier die Sprache
wie den Zug. Jetzt sprechen da
hin und wieder Engel
und Narren. Auf nichts
mehr wartend, werfe
ich die Mütze

ins gefrorene Kiesbett, zum
Schädel des Schafbocks, in dem
der Kiebitz
nistet.

Sehr erfreulich, übrigens,  in diesem Heft des “Literaturboten“: der Beitrag über T.S.Eliots  Das wüste Land  von Stefana Sabin. Wie beruhigend, dass man diesen Text auch  heute noch im Zusammenhang mit poetischem Schaffen erwähnt.

*) L. 103/104,  ISSN: 1617-6871
**) Der Autor wurde 1944 in Hermannstadt, Rumänien, geboren,
eine Information, die den Zugang zu diesem Gedicht erleichtern könnte.

 

Uraltes Frustmanagement

. . .
–  jetzt hat sie verloren.
–  ja, wer denn, was denn?
–  die verdammte Schraube natürlich, die wollte sich schon wieder nicht festziehen lassen. . . .

So oder so ähnlich bringen manche ihren Triumph zum Ausdruck, Triumph über Schwierigkeiten mit Apparaten, Werkzeugen, Materialien usw.. Der Triumph wird dabei als Sieg erlebt über  einen vermeintlich boshaften Widerstand, meist bekannt als “Tücke des Objekts“.

Indem der einsam Werkende das “widerborstige“ Ding personalisiert, schafft er sich ein Gegenüber, an dem er seinen Zorn über eigene Fehler und  Unvermögen auslassen kann: er ist gar nicht mehr ganz allein, hat sozusagen einen Mitverantwortlichen.

Von hier aus lässt sich weiterdenken und Verständnis gewinnen für  kulturhistorische Entwicklungen wie Animismus und Fetischkultur.

 

Holzernte

Wäre vielleicht bei einer Dokumenta noch als “Installation“ durchgegangen – mit den sauberen Schnitten erinnern die Teile fast  an Spielsachen – um welche Gewichte aber es sich bei solchen “Scheibchen“ handelt, vergisst der Zuschauer, wenn er die Leichtigkeit beobachtet, mit der die riesigen Holzerntefahrzeuge die mächtigsten Stämme bewegen, zurechtschneiden und für den Abtransport bereitlegen.

Gedankensplitter

Ich glaube, man hört es, ob Rundfunksprecher und  Sprecherinnen  aus eigener Erfahrung eine Beziehung zu dem haben (oder auch nicht), wovon ihre Ansagen handeln. Die innere Beteiligung ist spürbar.

Ja, wenn man richtig hinhört, kann man wahrscheinlich sogar bei allem, was  gesprochen wird, unterscheiden, ob es sich nur um Worthülsen handelt oder um sinnerfülltes  Reden.

 

“Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern“

Zaunpfosten, gesehen bei einem Gang durch München-Solln.

In einer Welt, in der diese Art von  Schmuckformen durch Kriegszerstörung und Modernisierungssucht sehr gründlich ausgerottet worden ist,  kann man die Begegnung mit solchen Relikten wie eine kostbare Trouvaille erleben. Dem unbekannten Besitzer sei Dank für den überraschenden Anblick, den er sich und den Passanten zu Liebe vor dem Aus in der Deponie bewahrt hat.

 

Der klassische Konflikt

Der Zeichner Gregory Masurovsky in einem Interview über seinen Weg zur Kunst:

“. . . I had several good teachers in high school , and classes in graphic arts, . . . I began to consider the idea of being a commercial artist/illustrator and started seeking “something else“ as a career in the arts. This did not please my parents, who wanted me to learn a profession so I could earn a living.  I was unsure as to whether I had the courage to be an artist. I was ignorant about the art world and the business of art . . .“

(. . . ich hatte mehrere gute Lehrer in der Aufbauschule und Graphikkurse . . . und ich begann, mit dem Gedanken zu spielen, Gebrauchsgraphiker und Illustrator zu werden, und ich sah mich nach “etwas Anderem” für eine Kunstkarriere um. Meinen Eltern gefiel das nicht:  ich sollte einen Beruf lernen, um meinen Lebensunterhalt verdienen zu können; [dabei] war ich mir nicht sicher, ob ich den Mut zu einem Künstlerdasein aufbringen würde, ich hatte keine Ahnung von der Kunstwelt und von den Geschäften mit der Kunst. . .)

Aus: Black Mountain College Dossiers Nr.8, 2004

 

Absinkendes Kulturgut

Raffaels Putti aus der Dresdener Madonna haben sich dauerhaft gewinnbringend vermarkten lassen,  und wer könnte die Summen  berechnen, die seither mit diesen “Artikeln“ verdient worden sind? Vermutlich sind die beiden neckischen Engelchen bekannter geworden als die Madonna selbst.

Als  Dalí  1931 Die Beharrlichkeit der Zeit gemalt hatte, sah es gar nicht danach aus, dass die Kitschiers auch aus diesem Werk ein Detail nutzbringend gebrauchen würden. Aber obwohl sich der Sinn des Titels keineswegs jedermann erschließt, haben die “fließenden“ Uhren inzwischen eine vergleichbare Berühmtheit wie Raffaels Hinkucker – und daraus lässt sich doch “etwas“ machen, wie z.B: