Beneidenswert

Fußballfans haben es besser: mag der Rumpelfußball ländlicher Drittligisten noch so weit unter dem Weltniveau der Spitzenteams bleiben, man hat es immer mit dem selben Spiel zu tun, und selbst Banausen wissen in groben Zügen, um was es bei dem Spiel geht.

Nicht so, wenn von Kunst die Rede ist: herausragende kreative Ereignisse, die internationale Aufmerksamkeit hervorrufen, werden im regionalen Abseits höchstens mit ungläubigem Kopfschütteln quittiert. Ein unüberbrückbarer Verständnisabgrund verhindert die für jedermann fassbare Verwendung des Wortes Kunst.

Daran hat mich ein Interview* mit Marina Abramovič erinnert. Die Performance-Künstlerin kündigt darin für Juni ihre nächste Aktion in der Londoner Serpentine Gallery an:

“. . . Ich werde eine Art ‘zeitlosen Raum‘ erschaffen, in dem Menschen Stunden mit mir verbringen können . . . Das Museum wird leer sein, keine Kunstwerke, nirgendwo. Ich werde da sein, acht Stunden am Tag . . . drei Monate lang. Jeder kann kommen . . . Das Publikum ist mein Material, ich werde mir für jeden Tag etwas ausdenken . . . Für mich ist es die Kunst des 21. Jhdts, befreit von jeder Materialität: ein charismatischer Ort, an dem Künstler und Publikum in einen Dialog eintreten . . .“

Das passt freilich nicht in eine Welt, in der einer bereits als Sonderling gelten muss, der die Gedankengänge der Abramovič ernst zu nehmen versucht.

*) Magazin der SZ vom 11.April, 2014, p.44

Mehr “Wullst“ als Kunst

Wenn nicht der Name E.T.A. Hoffmann gefallen wäre, hätte ich das Gedicht sicher nicht aus der Zeitung (irgendwann vor 1980) ausgeschnitten und aufgehoben; aber auch ein so beispielhaftes Misslingen kann ja zur Klärung beitragen:

Hans Pfitzner

Sonett an E.T.A.  Hoffmann 

Genialer Kobold, lichter Satanas,
Zuhause nur in Künsten und in Träumen,
Dich lud die Erde nicht zu langem Säumen
Als frohen Gast behaglich ins Gelass.
Nein, unstet und verfemt von jenem Hass
Begleitet, der den Seelen muss entkeimen,
Die, neidvoll nur, wenn Nektarbecher schäumen
Beiseite sitzen hinter schalem Nass.
So blitzt Du uns, der Schwere bar, vorbei.
Und wo Du hinrührst, muss es blühn und sprühen
Voll Leben; doch der Liebesschmerzensschrei
Erstickt das heiße Herz mit Ironien.
Der Wahnsinn krallt nach Dir mit krauser Tatze –
Dein Weinglas fliegt ihm klirrend in die Fratze.

Sehr schwach! – da hilft auch nicht der Hinweis auf den zu seiner Zeit obligatorischen Expressionismus –  Pfitzner hätte besser daran getan, beim Komponieren zu bleiben.

Hingucker

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Sieht beim Vorbeifahren nach Kunst aus – ungewohnter Anblick hier und da in unserer Gegend – offenbar eine mit vielen “Mitspielern“ abgestimmte Aktion – ist das nicht sogar eine archaische Tradition, vertikale Male zu errichten und sie zu schmücken? –  Wer tut so etwas? und wer darf das? ­–

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Endlich wird einer mal etwas deutlicher:

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Man wirbt für die Gartenschau in Gießen.

 

Gedankensplitter

Von André Gide als Autor gingen zu seiner Zeit starke Impulse aus.
Heute scheint sein Werk seltener erwähnt zu werden, und neue Sterne beherrschen den literarischen Himmel.

Mir hat sich besonders ein bemerkenswerter Satz des Autors unvergesslich eingeprägt:

“Le monde sera sauvé par quelques-uns.“*

Er kam mir jetzt wieder in den Sinn, als die erstaunliche Wirkmacht offensichtlich wurde, mit der ein einzelner Künstler ein riesiges Weltreich herausfordern kann. Ai Weiwei kann natürlich nicht “die Welt retten“, aber er bewirkt mehr als Millionen seiner  Mitbürger, die sich, wie er, über politische Bevormundung und undemokratische Verhältnisse empören.

Übrigens: durch die Behandlung Ai Weiweis haben sich die Machthaber nicht nur weltweit kompromittiert, sie haben auch gegen ihre eigenen Interessen gehandelt; denn kein Staatsbesuch hat so viel öffentliche (auch positive!) Aufmerksamkeit für das Reich der Mitte bewirken können wie die Kunstaktionen des  Künstlers Ai Weiwei.

*) Der Satz stammt aus einer Veröffentlichung um 1950, leider ohne Quellenangabe.
“Je crois à la vertu du petit nombre; le monde sera sauvé par quelques-uns“ (etwa: Ich glaube an die Kraft der geringen Anzahl; die Welt wird von [einigen] wenigen gerettet werden.)

 

 

 

 

 

Gedenken an Christian Morgenstern

Auch wenn es anderen als subjektive Marotte erscheinen mag,
mich hat seit vielen Jahren die avantgardistische lyrische Freiheit gerade dieses Gedichts bewegt:

Gleichnis

Palmström schwankt als wie ein Zweig im Wind…
Als ihn Korf befragt, warum er schwanke,
meint er: weil ein lieblicher Gedanke,
wie ein Vogel, zärtlich und geschwind,
auf ein kleines ihn belastet habe –
schwanke er als wie ein Zweig im Wind,
schwingend noch von der willkommnen Gabe…

Liest man, mit dieser Lyrik im Sinn, Morgensterns Biographie, reich an Kummer, Wirrnis und Umwegen, stellt man beglückt fest, dass es ihm gelungen ist, eine Ausdrucksform zu finden, die das Elend lächelnd vergessen machen kann.